Geschichte
Am Beispiel des Evang. KPV Esslingen-Stadtmitte e.V.
Für die diakonische Arbeit der evangelischen Kirchen in Deutschland wurde das 19. Jahrhundert ausschlaggebend. An verschiedenen Orten entstanden unabhängig von einander Hilfsdienste für kranke und arme Menschen. Die Industrialisierung, Kriege und Revolution hatten alte Bindungen in Familie und Gesellschaft gelöst. 1848, beim ersten evang. Kirchentag in Wittenberg, prägte Johannes Hinrich Wiechern den Begriff "Innere Mission" für evangelische Aufgaben in der Gemeinde.
Esslingen hatte sich seit 1810 zu einer der stärksten industrialisierten Städte in Württemberg mit allen Vor- und Nachteilen entwickelt. Die Einwohnerzahl war sprunghaft angestiegen. An Krankenhäusern gab es für Esslinger Bürger das St.-Clara-Hospital mit 40 Betten, 1845 zählte man 3000 Fremdarbeiter in der Stadt, für die durch Initiative von Carl Weiss (Sektkellerei) das Krankenhaus für "Fremdarbeiter, Handwerker und Dienst-boten" gebaut wurde, dessen Personal anfangs einige Hauspflegen übernommen haben.
In einer Pfarrgemeinderatssitzung am 17.Dez.1872 stellte Dekan Knapp die Frage, ob man auch in Esslingen, wie schon anderweitig geschehen, Krankenpflegerinnen für die Gemeinde anstellen sollte. Man war sich einig "es wäre eine große Trosttat für die Stadt". Nach Verhandlungen mit dem Diakonissenmutterhaus in Stuttgart, konnten am 22. Sept. 1873 zwei Schwestern, die in Krankenpflege und Seelsorge ausgebildet waren, ihren Dienst in Esslingen aufnehmen.
Laut Anstellungsvertrag war das Mutterhaus für Auswahl, Entsendung, Fürsorge und Erholung der Schwestern zuständig, der Krankenpflegeverein vor Ort für geordnete Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Der Verein zahlte dem Mutterhaus Besoldungsgebühren. Nach mehrfachem Wohnungswechsel erbten die Schwestern 1909 ein Haus, in dem die Station fast 60 Jahre untergebracht war, bis sie 1967 in die Katharinenstrasse 65 umziehen mussten.
Für die ersten zwei Schwestern reichte das Stadtgebiet im Osten bis Charlotten- und Landolinsplatz, (die "Häuser der Barmherzigkeit", Alters- und Armenhaus, lagen in freier und lieblicher Gegend, heute Plochinger Str.2-4). Im Norden endete die Stadt mit den Beutaustrassen, Weststadt und Pliensauvorstadt waren gerade im Entstehen, aber letztere gehörte noch 50 Jahre zum Einsatzgebiet Stadtmitte. Die Schwestern haben jahrzehntelang alle Wege zu Fuß zurücklegen müssen, eine Straßenbahn gab es ab 1912.
Die Schwestern betreuten die Kranken in Ganztagspflege, Einzelbesuchen und leisteten viele Nachtwachen, natürlich auch an Sonn- u. Feiertagen. Patienten, die es sich leisten konnten, zahlten für die Tagespflege 36 Kreuzer und für die Nachtwache 24. Da 60% der zu Pflegenden nicht zahlen konnten und auch Spenden zunächst nur spärlich eingingen, beschloss der Pfarrgemeinderat, dass das Kirchenopfer der Oster- und Weihnachtszeit der Diakonissensache zukommen soll. Nach 7 Jahren waren bereits 3 Diakonissen in der Stadt tätig, aber so angestrengt, dass die Stadtärzte eine 4.Schwester beantragten und veranlassten, dass der Stiftungsrat der Armenkasse jährlich 250 M für diese Stelle zahlte.
Die Arbeitszeit in den Fabriken dauerte damals für Männer 12-14 Stunden, für Frauen 11, für Schwestern gab es keine Arbeitszeitregelung. Sie arbeiteten bis alle Bedürftigen körperlich und seelsorgerlich zufriedenstellend betreut waren.
Jahresstatistik von 1881: 4 Schwestern betreuten 164 Kranke, davon 90 Arme unentgeltlich. Sie führten 544 Tagespflegen, 567 Nachtwachen und 2408 Pflegebesuche durch. An Bedürftige verteilten sie 82 Mark in Bargeld, 20 Krankenessen und 27 Flaschen Wein.
1884 wurde beschlossen, dass die Schwestern eine Mittagspause haben sollten, um nicht mehr in den Pflegehäusern essen zu müssen.
Es wurde bekannt, dass Vinzentinerinnen kämen, die eine katholische Gemeindepflege in der Stadt aufbauen würden und keine Pflegegebühren verlangten. Im Diakonissenverein einigte man sich auf den Satz: die Dienste der Diakonissen werden unentgeltlich geleistet. Freiwillige Gaben werden dankbar angenommen. Wer eine Rechnung verlangt, zahlt 1 Mark, für die Tagespflege und für die Nachtwache 1,40 Mark, ein Pflegebesuch für 20 Pfennige. Diese Pflegegebühren blieben bis 1950 gültig. Nach 16 Jahren war die ambulante Pflege in der Stadt gut eingeführt und finanziell abgesichert, so dass ein selbständiges Komitee für den "Diakonissenverein" gegründet wurde. Es waren bereits 8 Schwestern in der Gemeinde tätig. Zwischen 1903 und 1926 entstanden in 6 Esslinger Stadtteilen eigene evangelische Krankenpflegevereine, der Zollberg kam 1962 dazu.
Von 1933 - 1945 waren auch NS-Schwestern in der Stadt tätig. Die Diakonissen bemühten sich freundlich u. korrekt mit ihnen auszukommen. Die Kranken konnten sich die Schwesternschaft selber wählen. 1934 wurde das Schwesternhaus der Gesamtkirchenpflege unterstellt, um es dem Zugriff der Partei zu entziehen. Von den 10 Schwestern sollten 1942 zwei für das Kriegshilfskrankenhaus bereitgestellt werden.
Von 1955 an nahm die Schwesternzahl stark ab, 1966 waren es noch 4. Es lag teilweise an der schlechten Bezahlung.
1971 erging an die Krankenkassen die Bitte, ärztliche Verordnungen, die das Pflegepersonal ausführte, zu bezahlen. 1972 sagte die AOK zu, unter der Bedingung, dass es in der Vereinssatzung verankert ist und eine Patientenkartei geführt wird.
1976 wurde die letzte Diakonisse aus der Stadtmitte abgezogen und 1979 wurde der Verein durch Satzungsänderung in "Evangelischer Krankenpflegeverein Esslingen- Stadtmitte e.V." umbenannt. Bereits 1967 wurde von Vertretern der Caritas und der Diakonie eine Neuregelung der Ambulanten Dienste erarbeitet. Sozialminister in Rheinland-Pfalz, Dr. Heiner Geißler, prägte den Namen :Sozialstation. Das Ziel war: Durch Bündelung mehrerer Dienste soll dem Hilfesuchenden umfassend und wirksam geholfen werden.
Im Oktober 1973 ist in Esslingen aus dem Hauspflegeverein die Sozialstation als eingetragener Verein entstanden, in dem Stadt, Landkreis und Wohlfahrtsverbände Träger wurden. Die 8 evangelischen Krankenpflegevereine in der Stadt bildeten eine Arbeitsgemeinschaft, um einheitliche Pflege und Gebührenordnung zu erreichen. Diese Arbeitsgemeinschaft trat kooperativ der Sozialstation bei.
Seit 1990 /91 erhielten die Sozialen Dienste neue verbindliche Richtlinien von Bund und Land.
Für die Gemeindekrankenpflege mussten Pflegedienstleiterinnen/leiter speziell ausgebildet und angestellt werden mit mindestens 8 Vollzeit-Pflegekräften. Daraufhin wurden in Esslingen die verschiedenen Vereine in 4 Pflegebereiche zusammengelegt, die Vereine sind weiterhin selbständig. Die Verwaltungsarbeit nahm sehr zu und muss professionell und effektiv erledigt werden. In diesem Zusammenhang wurde das Pflegepersonal aller evangelischen Krankenpflegevereine 1997 von der Diakonie- und Sozialstation (DuSE) übernommen. Die Krankenpflegevereine bleiben bestehen und sind mit Träger der DuSE.
Sie haben ihre Aktivitäten jetzt auf gemeindediakonische Aufgaben in der Innenstadt verlegt, und bieten z.B. Besuchsdienste bei einsamen, alten und kranken Menschen, Seniorenferientage auf dem Schurwald und "Pflegbegleitende Maßnahmen" an.